Chancen und Risiken der Digitalisierung für die Finanzdienstleistungsbranche
von Felix Brem

Über die Chancen und Auswirkungen der Digitalisierung wird momentan in allen Bereichen des Lebens geschrieben. Sei dies im Gesundheitswesen, in der Industrie oder im Journalismus. Auch die Finanzbranche ist von diesem Trend betroffen: Fintech spriessen wie Pilze aus dem Boden und Roboadvisor-Anbieter versprechen effizientere und bessere Beratung. Doch was bedeutet das alles für Vermögensverwalter?

In meinem letzten Blogbeitrag schrieb ich, dass der zunehmende Regulierungsdruck unabhängige Vermögensverwalter zwingen wird, sich auf ihre Kernkompetenzen zu fokussieren und gewissen Aufgaben auszulagern. Mit der Digitalisierung ist es genau umkehrt – sie ermöglicht es uns, uns auf Kernkompetenzen zu fokussieren und lästige Aufgaben auszulagern.

Regulierungsdruck steigt

Auf Gesetzes- und Regulierungsebene ist gut zu beobachten, dass aufgrund der Finanzkrise die Anforderungen an die Finanzdienstleister stark gestiegen sind. Für einen Vermögensverwalter bedeuten diese zusätzlichen Regulierungen, dass er grundsätzlich mehr Zeit in die Vor- bzw. Nachbearbeitung der Kundenbetreuung investieren muss und sich so weniger stark auf seine Kernaufgabe, die Beratung, fokussieren kann.

Genau hier kommen digitale Plattformen ins Spiel. Sie helfen administrative Aufwände durch klare Prozesse und Automatisierung zu verringern. Dazu gehört die Digitalisierung der Regulierungsanforderungen durch eine digitale Beratungsstrecke, bei der die Risikoneigung und weitere wichtige Informationen ständig griffbereit sind und in Beratung einfliessen können inklusive Berichte und Korrespondenz, welche auf Knopfdruck zugänglich sind, um hier einige keineswegs nicht abschliessende Beispiele zu nennen.

Effizienter sein und Fehler vermeiden

So können Algorithmen auch bei der Auswahl bzw. Empfehlung des richtigen Anlageprodukts unterstützen. Denn je nach Standort oder auch je nach Art des Kunden sind gewisse Anlageprodukte nicht erlaubt oder vermittelbar. Künftig wird die zeitaufwändige Überprüfung der sehr länder- und produktespezifischen Vorgaben nicht mehr vom Kundenberater selber vorgenommen. Somit spart der Vermögensverwalter viel Zeit und geht kein Risiko ein, eine Bestimmung übersehen zu haben und allfällig gegen Vorschriften verstossen zu haben.

Die beschriebene Automatisierung von Abläufen und Prozessen, wie sie insbesondere bei Infrastrukturdienstleistern wie uns angeboten werden, erlauben es dem Kundenberater somit, dass er sich wieder verstärkt auf seine Kernkompetenzen im Bereich der individuellen und nahen Kundenberatung konzentrieren kann.

Roboter werden uns nicht ersetzen

Doch geht es mit der Digitalisierung nicht auch dem Berater an den Kragen?  Die sogenannten Roboadvisors werden den klassischen Kundenberater mehr und mehr ersetzen, bekommt man den Eindruck, wenn man die Medien liest. Doch hier gilt es klar zu differenzieren.

Das klassische Anlagegeschäft basiert zu einem grossen Teil auf einer Vielzahl an Daten, welche oft von Menschenhand aufbereitet und insbesondere interpretiert werden müssen. Das Versprechen der Roboadvisors ist es nun, dass sie diese Unmengen an Daten nicht nur sammeln, sondern gleichzeitig auch interpretieren und auf die Kundenbedürfnisse abstimmen.

Das mag rein technisch zu Teilen durchaus zutreffen, doch gibt es zwei grosse ABER. Erstens stossen heutige Roboadvisor schnell an ihre Grenzen, wenn es um komplexe Situationen geht. Hier kann sich der Kundenberater abheben, sei es bei komplexen Anlageentscheiden, aber auch bei anderen finanziellen (und persönlichen) Fragen, wie zum Beispiel bei einer Nachfolgeregelung. Dies bestätigt eine Umfrage von LGT[1], in der eine grosse Mehrheit wichtige Entscheide mit dem Kundenberater besprechen will und rund die Hälfte der Befragten ihr Vermögen sogar nie durch Roboadvisors verwalten lassen würden.

Zweitens und langfristig noch fast wichtiger: Untersuchungen zeigen, dass Menschen persönliche Beratung brauchen, um Vertrauen aufzubauen. Eine Studie von EY und der Universität St. Gallen zeigen, dass das Vertrauen leidet, sobald persönliche face-to-face Kontakte fehlen[2]. Gerade wenn es um Geld geht, ist aber Vertrauen entscheidend – der Kundenberater hat also noch lange nicht ausgedient.

Zwingt uns die Regulierung zum Glück?

Das grösste Potenzial für die Digitalisierung in der Vermögensverwaltung sehe ich deshalb nicht in Roboadvisory, sondern in der angesprochenen effizienteren Gestaltung administrativer Prozesse und Abwicklung regulatorischer Anforderungen. Hier treffen Regulierungsdruck und Digitalisierung aufeinander, was nicht immer schlecht sein muss.

Die Vermögensverwalterbranche ist eine traditionsbewusste Industrie, was sich durchaus auch in ein wenig Trägheit im Hinblick auf neue Technologien und Businessmodelle zeigen kann. Ketzerisch gefragt: Ist die zunehmende Regulierung mittel- bis langfristig ein heilendes Fegefeuer, das uns zwingt, uns Gedanken zu unseren Prozessen, unserem Angebot und letztendlich unserem Mehrwert für den Kunden neu zu definieren und bei Bedarf Anpassungen zu machen?

 

[1] LGT Anlegerstudie: Mensch oder Maschine?. 2018. Julia Bertsch. https://finanzblog.lgt.com/mensch-oder-maschine-robo-advisor/

[2] Is trust powered by a heartbeat or a beep?. 2017. Universität St. Gallen & EY. https://www.ey.com/ch/de/newsroom/news-releases/medienmitteilung-ey-vertrauen-und-digitalisierung-in-der-finanzdienstleistung

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